Datum: 13.11.2000
Ressort: Lokalanzeiger
Autor: Evelin Süß

Nach ein paar Joints wird das Grinsen im Stück «Clämoarr» extrabreit

Falkenhagener Feld – Gewalt. Für viele ist das nur ein Wort, ein blutig geschlagenes Gesicht auf einem Fernsehbild, eine Messerstecherei im Polizeibericht einer Zeitung. Das muss man nicht lesen, man kann wegschauen. Und die potenzielle Gewalt, die abends an einer Spandauer Imbissbude mit einem Schlagring in der Hand spielt, blieb bei der Uraufführung des Theaterstückes «Clämoarr» von David Spencer am Sonnabend draußen. Aber von solcher Art Gewalt handelt das Stück.

Regisseur Serdal Karaça setzt sie in ihrer ganzen Härte um. Das war den etwa 60 Besuchern der Premiere im Stadtteilzentrum Klubhaus Falkenhagener Feld an der Westerwaldstraße 13 schnell klar.

In «Clämoarr», deutsch: Geschrei,
wird eineinhalb Stunden lang gedealt und gekifft, geklaut, geprügelt und gemordet. Teils wirkt das echt. Es beginnt mit einer Jugendgang in einem Spandauer Park. Die Zuschauer sind ganz nah dran. Der Raum ist komplett mit Rindenmulch und Kies ausgelegt. Eine Parkbank dazu, mehr nicht. Auf gleichen Bänken sitzen die Zuschauer an drei Seiten des Raumes, gleichsam im Bühnenbild.

Das Hasch, das die jugendlichen Schauspieler der Jugendtheaterwerkstatt Spandau rauchen, ist zu riechen. Man versteht leicht, warum Manuel Abatecola in der Rolle des Anführers Martino eben noch versuchte, sich den Frust über den Verlust seines Jobs nicht anmerken zu lassen.

Nach ein paar Joints wird sein Grinsen extrabreit. Großartig protzt und prahlt er vor seiner Bande, wie er beim Ausschenken des Kaffees für «Yuppie-Scheißer» immer langsamer wurde und dann «Zwei Schweigeminuten für Marvin Gaye» einlegte.

Diese der wenigen langen Sequenzen des Stückes wird abrupt abgebrochen durch Roland Bohr in der Rolle des Neofaschisten Philipp Austerlitz. Dem passen die kriminellen Jugendlichen im «Volkspark» nicht. Er verprügelt sie. Die Kürze dieser Szenen unterstreicht seine Brutalität. Manchmal läuft der Kampf zwischen Bohr und Abatecola wie in Zeitlupe ab. Abrupt wechselt diese in Echtzeit. Bohr wirft Abatecola brutal und blitzschnell zu Boden, dass Rindenmulch aus dem Bühnenbild auf die Zuschauer spritzt.

Schlag auf Schlag verkörpern die Schauspieler die Absicht des Stückes, dass Gewalttaten auf denjenigen zurückfallen, der sie ursprünglich begangen hat. So ist es konsequent, dass Philipp Austerlitz am Ende des ersten Akts per Samurai-Schwert andeutungsweise von den Jugendlichen geköpft wird.

Deswegen ist der Zuschauer zunächst verwirrt, als Bohr zu Beginn des zweiten Teils unverletzt auftaucht. Zwar rückt das Geschehen – Bürgerkrieg in einem fiktiven asiatischen Land – auch durch das Bühnenbild auf der Empore des Raumes – räumlich vom Zuschauer ab. Aber der Zuschauer benötigt eine Weile, um sich vom Spandauer Park in das Zimmer des deutschen Waffenhändlers Klaus Dieter Kaufmann (gespielt von Bohr) umzustellen. Die unterschiedlichen Ausprägungen von Gewalt beider Teile stehen gleichberechtigt nebeneinander. Aber warum sie in dem Theaterstück miteinander verbunden werden, erschließt sich dem Zuschauer nicht. Das vermag auch der dritte Akt, als UN-Soldaten die Macht in dem Spandauer Park übernehmen, nicht. Trotz aller Mühe der Schauspieler ist es fürs Publikum schwieirig, der Handlung zu folgen.